NEWSLETTER

genaNews Juni 2020

Liebe Leserinnen und Leser,

 

Die letzten Monate waren geprägt durch die Corona-Krise. Tägliche Updates über COVID-19 Infektionen, über das Einhalten oder Nicht-Einhalten der Maßnahmen zur Beschränkung der Ausbreitung des Virus‘ und vor allem über das Konjunkturpaket zur Wiederbelebung der Wirtschaft. Letzteres ist jetzt geschnürt worden – zur Zufriedenheit aller? Unten finden Sie unsere Einschätzung sowie den Hinweis auf unser Diskussionspapier und Analysen und Empfehlungen anderer Organisationen.

 

Kaum ein Tag vergeht ohne Zoom-Konferenz – mit allen Vor- und Nachteilen. Ein Vorteil ist neben der Zeit- und Ressourceneinsparung durch vermiedene Reisen auch die Verfügbarkeit der Aufzeichnungen der Konferenzen und Webinare im Internet. Wir weisen im Newsletter auf einige der verfügbaren Webinare hin. Ein großer Nachteil sind die fehlenden Pausengespräche, die, wie wir aus der Open Space Moderation wissen, das Wichtigste an Veranstaltungen sind. Das mag etwas übertrieben sein, aber ich vermisse diese 'Nebengespräche' sehr.

 

So hoffe ich, dass nach der Sommerpause alles besser wird – und wünsche Ihnen und Euch allen eine schöne Sommerzeit.

 

Ulrike Röhr, genanet


 

Gender – Klima – Corona

Mit Spannung erwartet und begleitet von unzähligen Empfehlungen und Forderungen sowie entsprechenden Aktionen vor allem aus der Wirtschaft und den Umweltverbänden wurde am 3.6.2020 das größte jemals der Bundesrepublik geschnürte Konjunkturpaket der Öffentlichkeit präsentiert. ‚Es hätte schlimmer kommen können‘, so die einhellige Meinung. Wohl wahr, aber umgekehrt hätte auch deutlich mehr erreicht werden können vor allem im Hinblick auf die beiden anderen Krisen, die eng mit Corona verbunden sind: die Klimakrise und die Krise der Versorgungsarbeit bzw. seit Corona muss man leider sagen die Krise der Geschlechterverhältnisse. Auf diese Verbindungen hatten wir gemeinsam mit GenderCC und LIFE e.V. in einem Diskussionspapier hingewiesen, das wir Mitte Mai über den genaNews-Verteiler verbreitet haben. Darin auch eine Kritik an die erwartete ‚Abwrackprämie‘, die erfreulicherweise (noch) nicht gekommen ist.

 

Aus Klimaperspektive wird von vielen Umweltverbänden zum Konjunkturpaket wohlwollend angemerkt, dass ca. 25% der Subventionen direkt oder indirekt in den Klimaschutz fließen. Allerdings, so zumindest von unserer Seite die Einschränkung, viel davon in die Entwicklung zumindest fragwürdiger Technologien. Die „ökologischen Modernisierung“ orientiert sich fast ausschließlich an den Bedürfnissen der Industrie statt an denen der Gesellschaft.

 

Gelobt wird von einigen Akteur*innen die soziale Ausgewogenheit des Pakets. Dem können wir uns nicht anschließen. Was wir sehen, ist eine starke soziale Schieflage. Von der leichten Senkung der EEG-Umlage profitiert vor allem die Industrie, ob die kurzfristige Mehrwertsteuersenkung bei den Konsument*innen ankommt, steht noch in den Sternen. Für arme Haushalte ohne Kinder ist kein einziger Cent vorgesehen. Vor allem der Blick auf Gender, Geschlechtergerechtigkeit und vor allem Care-Arbeit ist ernüchternd. Nichts davon wird adressiert. Kein Wort zu den Auswirkungen des Lockdowns auf die Versorgungsarbeit und damit verbundenen Belastungen. Nun mag das Konjunkturpaket auch nicht der richtige Ort für eine Analyse der Genderwirkungen sein, aber sehr wohl der richtige Ort, um die so deutlich gewordenen strukturellen Ungleichheiten anzugehen. Sei es durch an wirtschaftliche Subventionen gekoppelte Auflagen, sei es durch finanzielle Unterstützung über die kleinen Beträge für Kinder oder einer Erhöhung der Entlastungsbeträge für Alleinerziehende hinaus. Die große Chance für einen Schritt in Richtung einer sozial-ökologischen, gender- und klimagerechten Gesellschaft wurde leider vertan.

 

Mehr dazu auf unserer Corona-Webseite, auf der wir Stellungnahmen, Artikel, Analysen und Forderungen zu Gender und Corona aus allen Teilen der Welt zusammengestellt haben.

 


 

Gründungsmonitor: Grüne Start-ups sind weiblicher, partizipativer und wollen Profit für alle

Wie es dem „Start-up-Ökosystem“ in der Corona-Krise geht und wo deren Bedürfnisse liegen, das ermittelt der Bundesverband Deutsche Startups e.V. in seiner aktuellen Umfrage, die noch bis zum 21.6.2020 beantwortet werden kann.

 

20% der Gründungen in Deutschland sind grüne Gründungen. Diese zeichnen sich auch dadurch aus dass sie ihre Beschäftigten stärker beteiligen, motivieren und fördern als nicht-grüne Gründungen. Laut neuestem Green Startup Monitor ist der Frauenanteil bei grünen Unternehmensgründungen deutlich gewachsen und liegt bei 22% gegenüber 13% bei nicht-grünen Gründungen, wo der Frauenanteil einen leichten Rückgang zu verzeichnen hat. Eine Auswertung der Daten aus dem Jahr 2018 zeigt die zu erwartenden Geschlechterunterschiede u.a. bei den Branchen, in denen Frauen, Männer oder gemischte Teams gründen. Frauen gründen in den eher weiblich konnotierten Branchen, in technischen Branchen sind sie quasi nicht präsent. Sie haben weniger angestellte Mitarbeiter*innen, arbeiten deutlich weniger Wochenstunden, diese aber in wesentlich größerem Umfang von zu Hause. Auffällig auch die Kapitalbeschaffung, die bei Frauengründungen häufiger auf eigenen Ersparnissen, Unterstützung durch Familie und Freunde, Bankdarlehen aber auch Crowd-Funding basiert, während sie bei staatlichen Förderungen und Förderungen aus der Wirtschaft gegenüber den Gründungen von Männern zurückliegen. Zu erwarten war auch das höhere Gewicht, das die Gründerinnen der ökologischen und gesellschaftlichen Wirksamkeit beimessen: hier haben sie mit 78% deutlich die Nase vorn vor männlichen Gründungen, die dem mit 52% zustimmen.

 

Man darf gespannt sein, ob und wie sich diese Unterschiede in den Auswirkungen durch Corona-Lockdowns niederschlagen.

 

Wir danken Dr. Yasmin Olteanu vom Borderstep Institut, die uns diese (unveröffentlichten) geschlechterdisaggregierten Daten zur Verfügung gestellt hat.

 


 

Energiearmut von Frauen – eine energie- und sozialpolitische Gemengelage

Energiearmut wird international und in einigen europäischen Ländern schon länger thematisiert, in Deutschland ist sie vor allem im Zusammenhang mit der Energiewende in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Genderdimension der Energiearmut ist hier aber nach wie vor deutlich unterbelichtet. Ein Grund dafür kann fehlendes Datenmaterial bzw. fehlende Datenauswertungen sein, wodurch geschlechtsspezifische Asymmetrien unsichtbar bleiben. Es liegen zwar Daten zur Armutsgefährung von alleinerziehenden und alleinlebenden Frauen vor (44 bzw. 28% sind hier armutsgefährdet), nicht aber von in größeren Haushalten lebenden Frauen. Hier wird von einer Gleichverteilung des Haushaltseinkommens unter allen Personen ausgegangen. Die ungleiche Einkommensverteilung zwischen Männern und Frauen sowie die ungleiche Verteilung der Versorgungsarbeit lassen vermuten, dass auch hier die Armutsgefährdung, und damit verbunden die Energiearmut von Frauen hoch ist. Aber wo keine Daten, da ist auch keine Sichtbarkeit – wo keine Sichtbarkeit, da kein Interesse – wo kein Interesse, da keine Aktionen – wo keine Aktionen, da keine Veränderungen (siehe dazu die in den letzten genaNews vorgestellte Veröffentlichung von Caroline Criado-Perez).

 

Für Österreich und speziell für Wien zeigte eine kürzlich vorgestellte Studie, dass auch die Art der Beheizung und die genutzten Energieträger sich in weiblichen und männlichen Single-Haushalten unterscheiden. Daraus kann geschlussfolgert werden, „dass hinsichtlich des geplanten Phase-outs aus fossilen Energieträgern spezifische Maßnahmenbündel für die einzelnen sozialen Gruppen erarbeitet werden müssen“.

 

Zum Weiterlesen: https://www.gender-blog.de/beitrag/energie-armut-frauen und https://awblog.at/frauen-energiearmut/

 


 

Macht das Mobilitätsverhalten von Frauen die Städte grüner?

Diese Frage wurde auf einer Veranstaltung über Feminismus und Stadtplanung debattiert, die das Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (SKOK) der Universität Bergen organisiert hatte. Laut Tanu Priya Uteng, leitende Forscherin am Institut für Verkehrsökonomie (TØI), ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern eine nach wie vor unterschätzte Perspektive in der traditionellen Stadtplanung. Der Bericht über die Veranstaltung fasst die Erkenntnisse zu den Genderaspekten der Mobilität zusammen und verweist auf sehr konkrete Daten aus einigen skandinavischen Städten wie Malmø oder Oslo.

 

Die Frage, was passieren würde wenn Frauen das Mobilitätsverhalten von Männern übernähmen, tauchte auch bei der Feminist Climate Conference auf, die als Webinar von den finnischen Grünen Frauen organisiert wurde und bei der Ulrike Röhr von genanet/GenderCC einen Vortrag zu den Gendered Carbon Footprints und dessen Ursachen hielt. Die etwas verspätete Antwort gibt Tanu Priya Uteng: Eine Studie aus Malmø vergleicht das Mobilitätsverhalten von Männern und Frauen und wie sich ihre Mobilität auf die Umwelt auswirken. Sie zeigt, dass die Gesamtemissionen um 31 % ansteigen und die Nutzung von Autos um 17 % zunehmen würden, wenn Frauen das Mobilitätsverhalten von Männern übernehmen würden. Umgekehrt würden natürlich die Emissionen und Autonutzung entsprechend sinken.

 

Wie die Genderperspektive in der Klimapolitik bearbeitet werden kann, erläutert Dr. Arn Sauer vom UBA in der ebenfalls virtuell durchgeführten Ringvorlesung Klima.Gender.Folgen des Projektes nachHALLtig der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberge.

 


 

Männer, Maskulinitäten und die Klima- und Umwelt-Krise

Ebenfalls online fand Anfang April das Webinar Men, masculinities, and the climate and ecological crisis statt, das von MenEngage organisiert wurde.

 

Eine „Männlichkeitsperspektive“ ist selten Teil der Mainstream-Analysen der globalen Umweltkrise. Jedoch werden von einigen Forschern und Akteuren theoretische Rahmenbedingungen und praktische Interventionen entwickelt. Dazu gehören das Buch Ecological Masculinities (siehe genaNews Dez. 2018) und der Prototyp eines praktischen Leitfadens zur Unterstützung des transformativen Wandels durch Gruppendiskussion „Men in the Climate Crisis“, der von MÄN, Schweden, in Zusammenarbeit mit der Chalmers University of Technology, Schweden entwickelt wurde.

 

In dem Webinar stellen Autoren Martin Hultman und Paul Pulé von der Chalmers University sowie Vidar Vetterfalk, MÄN Schweden, die Konzepte vor, mit denen sie die Zusammenhänge zwischen Umwelt und Männlichkeit untersuchen und eine Diskussion ermöglichen, um diese Muster zu transformieren und Männer und Jungen als Akteure positiver Veränderungen einzubeziehen.

 

Auf der Webseite von MenEngage ist der Mitschnitt anzusehen und werden Präsentationen und Hintergrundmaterialien bereitgestellt, so z.B. ein Diskussionspapier von MenEngage zu „Men, Masculinities and Climate Change“

 


 

„Utopische“ Präsentation und Interpretation von Daten

70% der Antwortenden einer Online-Befragungen zum Konsumverhalten junger Menschen waren weiblich, das hindert Utopia aber nicht daran, der Auswertung voranzustellen: „In dieser Veröffentlichung haben wir bei Personenbezeichnungen die männliche Form gewählt, damit der Text leichter lesbar ist. Wir weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass die Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll“ (Seite 5). Abgesehen davon, dass die männliche Form bei Personenbezeichnungen per se nicht geschlechtsunabhängig ist, stellt sich doch die Frage, warum hier nicht die weibliche Form gewählt wurde, wenn doch die übergroße Mehrheit der Befragten weiblich ist?

 

Aber auch darüber hinaus sind die Ergebnisse bzw. deren Präsentation kritisch zu betrachten. Wird doch so getan, als ob ein bestimmter Prozentsatz aller jungen Menschen sich so oder so verhalten – das ist aber schlicht falsch. Utopia bezeichnet die Studie als repräsentativ für die User von Utopia, woraus zu schließen ist, dass Utopias Nutzer*innen mehrheitlich weiblich sind. Das wundert uns nicht, wissen wir doch aus repräsentativen Bevölkerungsbefragungen, dass Frauen umweltbewusster und -interessierter sind und dass ca. 70% der vegetarisch und vegan lebende Personen weiblich sind – das ist also gar nicht so ungewöhnlich und schon gar nicht speziell für diese Altersgruppe. Etwas mehr Präzision im Umgang mit Daten würden wir uns auch von UTOPIA wünschen.

 


 

Literatur-Studie zu Gender and Climate Change in den USA

Einen Literaturreview zu Gender und Klima in den USA haben WEDO und Sierra Club gemacht. Er adressiert die Themen Gesundheit, Wetterextreme, Beschäftigung und Einstellung der Bevölkerung jeweils in der Verbindung mit Gender und Klima. Wir nutzen die Gelegenheit daran zu erinnern, dass wir vor drei Jahren einen Literaturreview zu Erkenntnissen aus allen Industrieländern gemacht haben, der allerdings deutlich breiter angelegt war und alle Handlungsfelder der Klimapolitik einschloss.

 


 

Raumstrukturen und Geschlechterordnungen

Die Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit erweist sich als ein wirkmächtiges Strukturprinzip in Raumkonstruktionen – das gilt für Kirchen in mittelalterlichen Frauenklöstern, aber auch für die Raumaufteilung im sozialen Wohnungsbau der 1960er-Jahre. Vergeschlechtlichte Herrschaftsstrukturen zeigen sich auch in der Anordnung und im Zugang zu Stadtteilen. Dass die Achse Geschlecht in Stadt und Land Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten schafft oder verhindert, gehört zu den grundlegenden Paradigmen der Geschlechterforschung. Spannend wird es, wenn man nach dem Wie fragt. Dazu liefern die Beiträge im Schwerpunkt der Zeitschrift GENDER 1/20, die von Anne Schlüter und Uta C. Schmidt herausgegeben wurde, interessante Antworten.

 


 

Nachhaltigkeit (re)produktiv denken. Pfade kritischer sozial-ökologischer Wissenschaft

Tanja Mölders, Anja Thiem und Christine Katz haben gemeinsam den Sammelband "Nachhaltigkeit (re)produktiv denken. Pfade kritischer sozial-ökologischer Wissenschaft" herausgegeben und selbst auch – neben vielen, vielen anderen Autorinnen, u.a. Ines Weller, Sybille Bauriedl, Christine Bauhardt, Susanne Schön – Beiträge verfasst. Aus dem Klappentext: In Zeiten der „Großen Transformation“ im „Anthropozän“ ist die Sehnsucht nach umfassenden wissenschaftlichen Antworten auf die sozial-ökologischen Krisen groß. In der Forschung liegt der Fokus stark auf der Beeinflussung zukünftiger Entwicklungen im Sinne des Konzeptes Nachhaltigkeit. Die Beiträge in diesem Sammelband nähern sich zentralen Themenfeldern dieses Konzeptes, Zeit/en – Natur/en – Räume – Inter- und Transdisziplinarität, teilweise in essayistischer, teilweise in wissenschaftlicher Form. Einen Fokus bildet dabei die von Adelheid Biesecker und Sabine Hofmeister theoretisch ausgearbeitete Kategorie (Re)Produktivität, die aus den unterschiedlichen theoretischen und thematischen Perspektiven weiterentwickelt wird.

 


 

Special Section on Chemical Entanglements: Gender and Exposure

Zu den Verstrickungen von Gender mit chemischer Exposition hat die Zeitschrift CATALYST – Feminism, Theory, Technoscience in ihrem Heft 1/2020 vierzehn Aufsätze und Kunst-Beiträge zusammengestellt. Diese zeigen die unterschiedlichen Umgangssprachen des chemisierten Wissens, aber auch ihre gemeinsame Theorie, wie spezifische molekulare Begegnungen durch biopolitische Systeme vorangetrieben werden, die die Relationalität zwischen Menschen, anderen Arten und der Umwelt erweitern oder einschränken. Nicht ganz einfach zu verstehen, aber hochgradig interessant zumindest für diejenigen, die in diesen Bereich arbeiten. Alle Beiträge sind auf der CATALYST-Website frei verfügbar.

 


 

Impressum

genanet - Leitstelle Gender, Umwelt, Nachhaltigkeit

c/o GenderCC - Women for Climate Justice e.V.

Anklamer Str. 38

10115 Berlin

Redaktion: Ulrike Röhr

leitstelle@genanet.de

www.genanet.de

 

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