Gendergerechtes nachhaltiges Planen, Bauen und Wohnen
Angesichts des Klimawandels und der Steigerung der Energiepreise sind die sozialen Aspekte des Bauens und Wohnens, sowie damit verbunden der Stadtentwicklung, wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Ein Bereich, der bereits seit Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre aus Frauen-, später aus Genderperspektive bearbeitet wurde. Deshalb wundert es sehr, dass diese Aspekte in den gegenwärtigen Diskussionen keine große Rolle spielen.
Aus diesem Grunde haben wir diese Themenseite eingerichtet, mit der wir eine Brücke schlagen wollen zwischen den rein auf Geschlechteraspekte des Planens, Bauens und Wohnen gerichteten Erkenntnissen und Forderungen und denen, die ausschließlich auf den Umwelt- und Klimaschutz ausgerichtet sind.
Symbolische Ordnung (Querschnittsdimension)
In kaum einem anderen Bereich spiegeln sich patriarchale Strukturen so massiv wider, wie beim Planen und Bauen. Traditionelle Verständnisse von Geschlechterrollen werden hier für Jahrzehnte fixiert und im wahrsten Sinne des Wortes zementiert. Am deutlichsten zeigt sich das in der in den 1930er Jahren entwickelten Charta von Athen, die eine nach Funktionen getrennte Stadt (Wohnen, Arbeiten, Freizeit) propagierte und die Grundlage legte für das bis heute geltende Paradigma einer autogerechten Stadt. Umgesetzt wurde die Charta vor allem im Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg. Es entstanden sogenannte „Schlafstädte“ (schon der Begriff zeigt die Ignoranz gegenüber der unbezahlten Hausarbeit: Für Frauen war die Wohnung schon immer ein Arbeitsplatz) und auch die Verödung der Innenstädte in reine Konsumbereiche ist eine Folge. Auch wenn heutiges Planen nicht mehr der Charta von Athen folgt, sondern Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit zumindest thematisiert, erschweren diese Planungen bis heute die Lebensgestaltung vor allem derjenigen, die Beruf und Versorgungsarbeit verbinden.
Versorgungsökonomie/Sorgearbeit
Sowohl Stadtplanung als auch die Planung von Wohnungen können die Durchführung der Versorgungsarbeit positiv wie negativ beeinflussen. Für die Stadt- und Regionalplanung sind es die zurückzulegenden Wege für die Alltagsorganisation oder auch die Verfügbarkeit von Frei- und Grünflächen in Wohnungsnähe, die diese Arbeit beeinflussen. In den Wohnungen sind es innovative Grundrisslösungen, die die Versorgungsarbeit erleichtern können, die sich flexibel an sich verändernde Lebenssituationen anpassen lassen müssen und zunehmend auch die Durchführung der Erwerbsarbeit im Homeoffice ermöglichen. In beiden Fällen müssen auch die ökologischen Aspekte – z.B. Energie- und Ressourcensparen im Haushalt, Klimaanpassung im öffentlichen Raum – die Bedarfe derjenigen, die Versorgungsarbeit leisten, berücksichtigen.
Erwerbsökonomie
Neben der Erleichterung der Verbindung von Erwerbs- und Versorgungsarbeit durch wohnortnahe Arbeitsplätze und Dienstleistungen rückt bei dieser Dimension die Verteilung der Erwerbsarbeit in planerischen Berufen in den Mittelpunkt. Aktuell (2022) liegt der Frauenanteil in Deutschland bei Hochbauarchitektinnen bei 35,6 %, bei Stadtplanerinnen bei 34,5 %, wobei der weitaus größte Teil angestellt arbeitet, der geringste Anteil findet sich bei gewerblich und freischaffend arbeitenden Architektinnen und Planerinnen (siehe BAK-Statistik). Nur 1 % der Planungsbüros mit mehr als 10 Mitarbeiter*innen wird von Frauen geführt.
Auffällig ist die Lücke zwischen den Studierenden und den Erwerbstätigen. In der Architektur beträgt aktuell der Frauenanteil 58 %, in der Stadtplanung 54 %. 1973 lag der Frauenanteil noch bei 17 %, 1997 bei 44 %. D.h. das Fach entwickelt sich zunehmend zu einem „Frauenstudium“. Dass sich das (noch) nicht bei dem Frauenanteil der Beschäftigten niederschlägt, ist vermutlich den älteren Generationen geschuldet und damit eine Frage der Zeit. Der Anteil von selbständigen Planerinnen wird sich damit vermutlich nicht automatisch erhöhen. Hier sind tradierte Strukturen und Zuschreibungen noch sehr wirkmächtig.
Öffentliche Infrastrukturen/Ressourcen
Geschlechterbewusste Stadtplanung stellt Infrastrukturen zur Verfügung, die eine Gleichstellung der Geschlechter befördern. Dazu gehört eine wohnungsnahe und alltagsgerechte Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs ebenso wie die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit sozialer Infrastrukturen (Schulen, Kindergärten, Pflegeheime, Gesundheitsversorgung, Kultur- und Sporteinrichtungen) und Ämter. Das seit den 1980er Jahren verfolgte Leitbild der Stadt der kurzen Wege – die Erreichbarkeit der Infrastruktureinrichtungen dauert nicht länger als 15 Minuten mit dem Fahrrad – trägt dazu bei, dass Erwerbs- und Versorgungsarbeit zu vereinbaren sind. Das gilt auch für wohnortnahe Frei- und Erholungsflächen, die gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur Anpassung an die klimatischen Veränderungen durch die globale Erderwärmung sind.
Für den sozialen Zusammenhalt, aber auch für die bessere Verteilung und Sichtbarkeit von Versorgungsarbeit ist die Bereitstellung von öffentlichen Räumen, in denen z.B. gemeinsam gekocht und gegessen und sich ohne Konsumzwang getroffen oder gespielt werden kann, eine wichtige Voraussetzung. Einige Städte stellen dafür die Erdgeschossflächen von Neubauten zur Verfügung.
Angesichts der begrenzten Verfügbarkeit von Raum vor allem im innerstädtischen Bereich gilt es, bei dessen Nutzung einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Nutzer*innengruppen zu schaffen. Bisher wird in Städten 60% des Raumes von Autos genutzt – das muss sich zugunsten der anderen Nutzer*innen und Nutzungszwecken ändern.
Institutionalisierter Androzentrismus/Definitionsmacht
Wie die vorherrschenden Einstellungen zu den Geschlechterrollen die Stadtplanung prägen, wurde bereits in der Genderdimension „Symbolische Ordnung“ diskutiert. Bis heute orientiert sich die Stadt- und Regionalplanung, ebenso wie die Freiraumplanung und Wohnbebauung in erster Linie an maskulinen Lebensmodellen. Obwohl seit vielen Jahren die nötige Genderexpertise in diesen Bereichen vorhanden ist, obwohl unzählige Publikationen vorliegen, die die Wichtigkeit einer geschlechtergerechten Stadt- und Regionalgestaltung belegen, obwohl dafür Leitfäden, Checklisten und Analysetools vorliegen – umgesetzt wird davon immer noch viel zu wenig. Das hängt auch damit zusammen, dass Genderexpertise eher bei Frauen vorhanden ist, als bei Männern. Wenn dann die Entscheidungspositionen männlich dominiert sind, bekommen diese Aspekte nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit. Zum Nachteil von allen Menschen.
Definitions- und Gestaltungsmacht auf Akteursebene
Bereits unter der Genderdimension Erwerbsökonomie hatten wir auf den verhältnismäßig geringen Anteil von selbständigen Planerinnen und Architektinnen hingewiesen. Daten verweisen darauf, dass Architektinnen und Planerinnen unterproportional in Entscheidungspositionen arbeiten, deutlich häufiger in Teilzeit, und deutlich weniger verdienen als Männer (siehe PlanRadar-Blogartikel). Das alles deutet auf eine geringere Gestaltungmacht hin. Andererseits ist vor allem der Stadt- und Regionalplanungsbereich durch seine Beteiligungsvorgaben oder -angebote bekannt. Diese genderbewusst zu gestalten, ist schon lange eine Forderung der feministischen Architektinnen und Planerinnen. Für eine gendergerechte Gestaltung reicht dies in der Regel nicht aus. Viele (gute) Beispiele zeigen, wie die Beteiligung der Nutzer*innen, und hier vor allem der Frauen bzw. Versorgungsarbeit Leistenden, die Planung verändert. Diese Änderungen sind für alle Nutzer*innen gut, wie die Erfahrungen immer wieder bestätigen. Das setzt aber voraus, dass bei jeder neuen Planungsaufgabe das erneute Abfragen nach geschlechts-, alters-, und gruppenspezifischen Interessen und Bedürfnissen durchgeführt wird. (siehe Difu-Bericht und ORF-Artikel)
Körper, Gesundheit, Selbstbestimmung und Privatsphäre (‚Intimacy’)
Sicherheit und Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum sind eine wesentliche Voraussetzung für uneingeschränkte Mobilität und Aktivitäten. „Angsträume“ werden aber gerade von Mädchen und Frauen LGBTIQ*, von Rassismus betroffenen Menschen sowie Menschen mit Behinderungen bei Planungsprozessen immer wieder thematisiert, dazu zählen z.B. Parks, Haltestellen, Tiefgaragen oder menschenleere Straßen. Stadtplanung und soziale Kontrolle können einen Beitrag dazu leisten, diese Orte sicherer zu machen. Dazu gehören z.B. Beleuchtung, Übersichtlichkeit, einfache Orientierung, gute Zugänglichkeit und soziale Durchmischung öffentlicher Räume. Sicherheit im öffentlichen, halböffentlichen und privaten Raum ist aber vor allem ein gesellschaftliches Problem, Stadtplanung kann hier nur begleitend wirken. (siehe ZDF-Artikel und Studien von Plan International sowie SKMR)
Gender Planning - Podcast
Einen hörenswerten Podcast zu "Genderplanning" gibt es bei der österreichischen Tageszeitung Der Standard. Die Wiener Stadtplanerin und Gender-Planning-Expertin Eva Kail erläutert anhand konkreter Beispiele, was gendergerechte Stadtplanung bewirken kann, an wen sich Gender-Planning richtet und welche Städte hier bereits Schritte unternommen haben. Erfreulicherweise erklärt sie auch, wie sich Gender-Planning mit dem urbanen Klimaschutz vereinbaren lässt.
Women in the City: Stadtentwicklung als Thema bei den G7
Erstmals findet beim diesjährigen G7 Treffen auch ein Treffen der Stadtentwicklungs-Minister*innen statt. Im Vorfeld wurde dazu ein Konzeptpapier von der Bundesregierung vorgelegt, das bei ersten Arbeitsgruppentreffen (Technical Expert Group Meeting) diskutiert werden soll. Darin gibt es drei Schwerpunktthemen: 1. Frauen in der Stadt, 2. nachhaltiges Planen und Bauen und 3. sozialer Zusammenhalt und lebenswerte Nachbarschaften. Schwerpunkte beim Thema Frauen in der Stadt sind Verkehr, Frauen in kommunalen Entscheidungspositionen, Sicherheit im öffentlichen Raum und intersektionale Aspekte. Das erste Arbeitsgruppentreffen, bei dem diese drei Themen vertiefend diskutiert wurden, fand am 14. Juni statt. Das abschließende Treffen der Minister*innen fand gerade (13. und 14. September) unter der Leitung von Bundesbauministerin Geywitz statt.
Die Women7 hat mit einer kleinen Task Force ein Forderungspapier erstellt, mit dem das Thema etwas breiter angegangen wird, u.a. indem zusätzlich Forderungen nach Ausbau der Care-Infrastrukturen gestellt werden. Auch wird die Umsetzung von integrativen und innovativen Stadtplanungsprozessen gefordert, die kolonialen und patriarchalischen Kontinuitäten und der Trennung nach sozio-ökonomischem Status entgegenwirken, oder der Ausbau der dezentralen, erneuerbaren Energieversorgung, an der Frauen in der gesamten Produktionskette beteiligt werden.
Vom 13. bis 14. Oktober 2022 findet das Treffen der G7 Gleichstellungsminister*innen statt. Im Vorfeld und parallel wird es auch ein großes Treffen der W7-Advisers geben, das am 14. Oktober mit einer öffentlichen Abschlussveranstaltung „We are here, we are loud! United against the backlash” im SchwuZ in Berlin endet. Weitere Informationen dazu auf unserer Veranstaltungsseite.
URBACT 2022 Gender Equal Cities Report
Das europäische Austausch- und Lernprogramm zur Förderung der nachhaltigen Stadtentwicklung URBACT hat im Juni 2022 einen neuen Gender Equal Cities Report veröffentlicht. Mehr Informationen hierzu und den ganzen Bericht finden Sie in der Pressemitteilung sowie unter dem Tab Publikationen.
Aufzeichnung der Panel-Diskussion ‘How gender equality creates sustainable cities’
Im Rahmen des URBACT City Festivals im Juni 2022 wurde eine Panel-Diskussion abgehalten, in der entscheidende Verbindungen zwischen Geschlecht, sozialer Gerechtigkeit und Klimawandel hergestellt werden. Anhand von Beispielen aus dem Gendered Landscape Netzwerk und dem URBACT Gender Equal Cities Report werden Maßnahmen untersucht, die städtische Entscheidungsträger*innen nutzen können, um lokale Fortschritte in Richtung SDG5 zu erzielen.
Die Aufzeichnung der Diskussion ist verfügbar in Englisch und Französisch (Panel-Beginn: 08:24:25 bzw. 08:19:40).
Geschlechtergerechte und nachhaltige Stadtentwicklung
Die „Globale Einheit für Feminismus und Geschlechterdemokratie“ der Heinrich-Böll-Stiftung hat ein Factsheet zu feministischen Anforderungen an eine geschlechtergerechte und nachhaltige Stadtentwicklung herausgegeben.
Thematisiert werden darin die globale Urbanisierung und ihre Chancen und Gefahren für diskriminierte Gruppen. Unter anderem wird prognostiziert, dass die soziale Ungleichheit der Zukunft urban und nicht gender-neutral ist. So produzierten Städte zwar über 70% des globalen Bruttosozialprodukts, jedoch gäbe es hierbei für Frauen keinen “fair share”: Mehr als 60% arbeiteten prekär und ohne soziale Absicherung im informellen Sektor.
Darüber hinaus gibt das Factsheet Einblicke in ausgewählte Stadtentwicklungsprojekte der Stiftung, beispielsweise zu Gender Mainstreaming in Planung, Entscheidung und Design in Tschechien und der Slowakei. Abschließend enthält das Dokument einen Ausblick in die Zukunft der fair geteilten Stadt, die zugänglich, bezahlbar und gemeinsam gestaltet ist.
Internationaler Arbeitskreis Gender- and Climate-just Cities and Urban Regions
Transdisziplinäre Prozesse und Ansätze sind wichtig für die Formulierung problembasierter Forschungsfragen und bei der Suche nach Lösungen für geschlechtsspezifische klimaneutrale und resiliente Städte und Regionen. Hieran arbeitet die internationale Arbeitsgruppe „Gender- and Climate-just Cities and Urban Regions“ der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL). Ausgehend vom aktuellen Stand der Wissenschaft hat der Arbeitskreis die Sozial-, Gender- und Diversity-Dimension in der breiten Debatte über Ansätze zu klimaneutralen und gerechten Städten und urbanen Regionen in Europa genauer betrachtet.
Zwei zentrale Forschungsfragen ergeben sich:
- Wie wird die soziale und geschlechtsspezifische Dimension in klimaneutrale und intelligente Planungsprozesse, Instrumente und Politiken (grüner) kühler Stadträume und Landschaften im europäischen Kontext integriert? Welche Aspekte der Klimagerechtigkeit spiegeln sich in diesen Instrumenten wider?
- Welchen Mehrwert bringt die Integration einer Gender-Perspektive in die Planung urbaner Freiräume im Hinblick auf klimaneutrale und smarte Städte und Stadtregionen? Wie kann es zu mehr Klimagerechtigkeit beitragen?
Im September 2021 fand zum ersten Mal ein persönliches Treffen des Arbeitskreises in Wien statt, im April 2022 wurde ein zweites Treffen in Magdeburg abgehalten.
Städte für alle: Gender Planning ist das falsche Wort
In der dritten Ausgabe des femMit Magazins vom September 2021 beleuchtet Celsy Dehnert in einem Artikel verschiedene Aspekte rund ums Gender Planning. Zunächst werden das Konzept des Gender Planning vorgestellt sowie die Frage danach, an wem sich Städte bisher orientiert haben, beantwortet. Als Beispiel eines am Gender Planning ausgerichteten Projekts dient der Stadtteil Seestadt Aspern im Nordosten Wiens. Außerdem wird auf die (weiter unten erwähnte) Safe in the City Studie und Gender Planning auf dem Land und in kleineren Städten eingegangen. Abschließend werden die Konzepte der 90-cm-Stadt und der 15-Minuten-Stadt kurz angesprochen. Zu den jeweiligen Aspekten fließen Einschätzungen von Frauen ein, die auf ihre Expertise als Mobilitätsexpertin, Stadtplanerin oder Gleichstellungsbeauftragte zurückgreifen.
Netzwerke
- Frauen in der Immobilienwirtschaft e.V. - Fachgruppe ESG | Nachhaltigkeit
Die Fachgruppe ESG und Nachhaltigkeit möchte die Sensibilisierung der Immofrauen im Hinblick auf ganzheitliche Nachhaltigkeit im Sinne von ESG-Kriterien und aktueller Entwicklungen gesetzlicher Bestimmungen voranbringen und den Austausch und die Vernetzung innerhalb der Immobilienbranche fördern. Auch sollen Erfahrungsaustausch mit Baugewerbe, Dienstleistern und NGOs für nachhaltige Lösungen vorangebracht und branchenübergreifende Kooperationen unterstützt weren. In diesem Zusammenhang möchte die Fachgruppe auch aktiv den Nachwuchs in Spitzenpositionen und Startups fördern. Gleichzeitig will sie eine Möglichkeit finden als starke Gruppe etwas Nachhaltiges für die Gesellschaft und Umwelt zu tun. - Gender Equal Cities (LinkedIn Gruppe)
Die Gruppe Gender Equal Cities widmet sich der Diskussion von Stadtplanungspolitiken und -praktiken, die Städte geschlechtergerechter machen, mit einem starken Fokus auf Europa. #GenderEqualCities ist eine Initiative von URBACT und dem Rat der Gemeinden und Regionen Europas. Sie zielt darauf ab:
(1) die Fortschritte bei der Gleichstellung zu würdigen
(2) die Ansätze, mit denen Städte Wandel durch geschlechtersensible Politikgestaltung vorantreiben, hervorzuheben
(3) die Barrieren, die den Fortschritt noch behindern, genauer zu erforschen
(4) Empfehlungen für eine gerechtere Stadtplanung und -verwaltung auszusprechen.
Ausgewählte Publikationen
- „Habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht“ – Interdependenz von Wohnen, Care und Geschlecht bei kommunalen Akteuren
Die Frage zum Zusammenhang von Politiken auf kommunaler Ebene und Geschlecht steht im Fokus des Beitrags von Nina Vischer, Kyra Schneider und Sophia Dollsack. Ausgehend von der Analyse der Care-Krise ergründen die Autor*innen in ihrem Beitrag die bisher in der Debatte noch weitgehend unberücksichtigten Zusammenhänge von Wohnen, Care und Geschlecht. Mit dem Fokus auf alternativen, kollektiven Wohnformen präsentieren sie erste empirische Befunde zur Bedeutung des Wohnens in einer geschlechtergerechten Care-Versorgung. Als „alternative“, „gemeinschaftliche“ Wohnprojekte werden in einem umfassenden Sinn Wohnformen verstanden, die über die klassische Wohnform der heteronormativen Kleinfamilie hinausgehen.
Es werden erste Erkenntnisse zu folgenden Fragen diskutiert: Wie positionieren sich kommunale Akteure zum Ansatz, durch „andere“ Wohnformen Sorgeaufgaben zu kollektivieren und damit auch die Geschlechterverhältnisse neu zu ordnen? Sehen sie darin eine Möglichkeit, Care (geschlechter)gerechter zu organisieren? Spielt die Geschlechterperspektive für kommunale Akteure beim Thema Wohnen eine Rolle? Und wie wird Geschlecht hierbei thematisiert? Diesen Fragen gehen die Autor*innen anhand von Interviews und Gruppendiskussionen mit Expert*innen aus Politik und Verwaltung, Wohnprojekten, Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, Wohlfahrtsverbänden und Zivilgesellschaft nach.
Nina Vischer, Kyra Schneider und Sophia Dollsack. 2022. „Habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht“ – Interdependenz von Wohnen, Care und Geschlecht bei kommunalen Akteuren. In: Knobloch et al. (Hg.). Caring Societies – Sorgende Gesellschaften. Neue Abhängigkeiten oder mehr Gerechtigkeit? S. 66 – 84. Download - URBACT 2022 Gender Equal Cities Report
Dieser URBACT-Bericht soll politische Entscheidungsträger*innen informieren und inspirieren, in ihren Städten Maßnahmen zu ergreifen. Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein Querschnittsthema, das viele Aspekte der Arbeit von Kommunen berührt. Um die Informationen so zugänglich wie möglich zu machen, ist der Inhalt in die Schlüsselthemen Vertretung und Beteiligung, Governance, wirtschaftliche Gleichstellung, öffentliche Dienste, Planung und öffentlicher Raum, sowie Gerechtigkeit, Diversität und Inklusion unterteilt.
Sie spiegeln die regionalen und globalen Prioritäten wider, wie sie in der Charta für Gleichstellung des Rates der Gemeinden und Regionen Europas dargelegt sind, sowie einige der 12 Bereiche der Städteagenda für die Europäische Union und die Ziele der nachhaltigen Entwicklung 5 und 11.
Jeder dieser Abschnitte bietet einen gewissen Kontext und konkrete Maßnahmen, die Städte zur Gleichstellung der Geschlechter ergreifen können. Fallstudien zu bewährten Verfahren zeigen, wie die Gleichstellung der Geschlechter von Städten in ganz Europa aktiv angegangen wird.
URBACT (Hg.). 2022. Gender Equal Cities 2022. Download - Frauen Bauen Stadt
Im Jahr 2030 werden weltweit 2,5 Milliarden Frauen in Städten leben und arbeiten. Traditionell war die Arbeit am Lebenskonzept Polis in ihrer Beauftragung, Planung und Ausführung jedoch männlich dominiert.
Frauen Bauen Stadt porträtiert 18 Städtebauerinnen aus aller Welt und wirft einen anderen Blick auf die künftige Stadt: Internationale Autorinnen aus den Bereichen Architektur, Stadtplanung, Kunst, Architekturtheorie und -vermittlung gehen der Frage nach, wie sich die Stadtplanung in Theorie und Praxis aus weiblicher Perspektive darstellt. Und sie diskutieren, inwiefern die Zukunft auf die Wünsche und Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten sein wird und welche Rolle Gestalterinnen, Architektinnen und Stadtplanerinnen spielen werden. (https://birkhauser.com/de/books/9783035624342)
Spannend ist, dass sich gendergerechte Stadtplanung meist mit den Maßnahmen gegen die Klimakrise deckt. Planung von und für Frauen ist heute umfassend: Das Einplanen von beschatteten Bänken, die Erreichbarkeit aller Bedürfnisse, Verkehrsberuhigung, naheliegende Grünflächen, Kultur- und Freizeitangebote – all das dient nicht allein Frauen, sondern entspricht den sozialen Bedürfnissen von Menschen aller Geschlechter und Altersgruppen. Aus der feministischen Perspektive gehe es, so die Direktorin des Architekturzentrum Wien, Angelika Fitz, „um eine Neurelationierung und Neubewertung von produktiven und reproduktiven Tätigkeiten, aber auch um ein neues Verhältnis zur Natur und um neue ökonomische Modelle“ (S. 184). (https://www.prozukunft.org/buecher/frauen-bauen-stadt)
Wojciech Czaja und Katja Schechtner (Hg.). 2021. Frauen Bauen Stadt. The City Through a Female Lens. Birkhäuser Verlag. Zum Buch - 30 Jahre Gender in der Stadt- und Regionalentwicklung. Erfahrungen und Perspektiven
In vier Fallstudien (München, Wien, Berlin und Regionalverband Ruhr) werden die Umsetzungserfahrungen mit dem Konzept Gender Mainstreaming bei gendergerechter Planung untersucht und daraus Perspektiven für den weiteren Umgang mit Gender in der Stadt- und Regionalentwicklung abgeleitet. Dabei standen folgende Fragen im Mittelpunkt:
- Gender als Qualitätskriterium: Hat die Berücksichtigung von Gender die Qualität der Planungen verbessert?
- Gender als Differenzierungskategorie: Welche Rolle spielt die Beschäftigung mit geschlechterspezifischen Kriterien im Kontext von Diversity und Inklusion noch?
- Gender als Zukunftsaufgabe: In welchen aktuellen Handlungsfeldern der Stadt- und Regionalentwicklung ist es weiterhin notwendig, den Genderblick zu betonen?
Die Ergebnisse der Studie zeigen: Viele Inhalte einer gendergerechten Planung sind im „Mainstream“ der kommunalen Planungspraxis angekommen. Neue Herausforderungen wie Zuwanderung, soziale Spaltung, Digitalisierung oder Klimawandel werfen aber auch neue Fragen auf. Machtfragen überlagern sich mit Fachfragen, Wachstumsdruck und Effizienzsteigerung stellen soziale und räumliche Qualitäten in Frage. In der Hektik des Tagesgeschäfts droht die Erkenntnis verloren zu gehen, dass sozialer Friede und gelingende Integration ohne gerechte Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenslagen und Bedürfnisse von Frauen und Männern, Jungen und Mädchen nicht möglich sind.
Uta Bauer und Franciska Frölich v. Bodelschwingh. 2017. 30 Jahre Gender in der Stadt- und Regionalentwicklung. Erfahrungen und Perspektiven. Herausgegeben vom Deutschen Institut für Urbanistik. Download - Gender planning. Ein Planungstool für eine gendergerechte Planung
Gendergerechte Städte spiegeln die Vielfalt unserer Gesellschaft wieder und reagieren auf unterschiedliche Bedürfnisse, Interessen und Lebenssituationen. Dadurch wird eine Chancengleichheit für alle Geschlechter und unterschiedliche soziale Gruppen gefördert. Dabei stellt sich die Frage, wer überhaupt die vielen (Stadt) NutzerInnen sind und welchen Bedürfnissen sie nachgehen? Wie kann diese gesellschaftliche Vielfalt für die Planung nutzbar gemacht werden? Die Arbeit stellt eine Entscheidungs- und Planungshilfe für PlanerInnen dar, um Planungsvorhaben auf ihre geschlechterspezifische Auswirkungen zu überprüfen, gestalten und dadurch ihren Beitrag zur Förderung einer Gleichstellung der Geschlechter zu leisten. In insgesamt neun planungsorientierten Kapiteln werden die jeweiligen genderrelevanten Kriterien aufgelistet und einzeln erörtert. Dieser Kriterienkatalog versteht sich als ein selbständiges Planungstool, welches je nach Aufgabe die benötigten Bausteine zusammensetzt und diese auf die Gendergerechtigkeit prüft. Das Tool soll alle Planungsbeteiligten dazu anregen und ermutigen sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und einen wichtigen Beitrag zur Geschlechtergleichstellung und somit zur Chancengleichheit zu leisten.
Hauser, Agatha. 2017. Gender planning. Ein Planungstool für eine gendergerechte Planung. Herausgegeben von der TU Wien, Fakultät für Architektur und Raumplanung. Download - Safe in the City? Zur gefühlten Sicherheit von Mädchen und Frauen in deutschen Städten
Die Großstadterfahrung von Mädchen und Frauen ist geprägt von Beschimpfungen, Drohungen, sexueller Belästigung, der Angst vor Übergriffen und Strategien, um solche Ereignisse zu vermeiden. Das hat eine Befragung von PLAN International in den vier einwohnerstärksten Städten Deutschlands – Berlin, Hamburg, München und Köln – gezeigt. Dadurch wird ihnen ihr Recht verwehrt, sich sicher in ihrer Stadt zu bewegen. Das schränkt sie nicht nur in ihrer persönlichen Freiheit ein, sondern ist auch Ausdruck für fehlende Gleichberechtigung.
Plan International Deutschland e.V. (Hg.). 2020. Safe in the City? Zur gefühlten Sicherheit von Mädchen und Frauen in deutschen Städten. Download