Umweltgerechtigkeit & soziale Gerechtigkeit
Das bereits seit den 70er Jahren in den USA diskutiere Konzept der Umweltgerechtigkeit (Environmental Justice) bekommt zunehmend Aufmerksamkeit auch in der deutschen Umweltpolitik. Umweltgerechtigkeit geht davon aus, dass zwischen dem Zustand der natürlichen Umwelt und den sozialen Gegebenheiten enge Zusammenhänge bestehen. In der öffentlichen Diskussion stehen dabei in erster Linie Fragen der Gerechtigkeit zwischen Ländern des Globalen Südens und des Globalen Nordens sowie zwischen den heutigen und kommenden Generationen im Fokus. Aber auch Faktoren wie Einkommen, Ausbildung, Berufsstatus, Nationalität, geographische Lage und Geschlecht haben Einfluss darauf, wie Menschen die Umwelt beeinflussen, von ihr profitieren und von Umweltbelastungen und umweltpolitischen Maßnahmen betroffen sind. Umweltzerstörung, aber auch umweltpolitische Maßnahmen haben unterschiedliche Auswirkungen auf Personengruppen und Regionen und können deshalb nicht unabhängig von Fragen sozialer Gerechtigkeit betrachtet werden.
Umweltgerechtigkeit
Gerade sozial benachteiligte Menschen leben häufiger in Gegenden mit einer stärker belasteten Umwelt und geringem Zugang zu positiven Umweltgütern, wie Parks und Wäldern oder sauberer Luft und Wasser und sind dadurch größeren Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Wohlhabende Schichten haben umgekehrt mehr Möglichkeiten, sich Umweltbelastungen zu entziehen bzw. sich Umweltveränderungen anzupassen. Insgesamt können so soziale Ungleichheiten durch Umweltprobleme weiter verschärft.
Indem ökologische Gerechtigkeit in den Blick genommen wird, kann Umweltschutz einen Beitrag zur Herstellung von sozialer Gerechtigkeit - auch von Geschlechtergerechtigkeit -innerhalb einer Gesellschaft leisten.
Gleichzeitig haben soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten einen negativen Einfluss auf die ökologische Bilanz einer Gesellschaft. Beispielsweise ist der Wachstumsdruck in ungleichen Gesellschaften höher, da ärmere Schichten durch immer mehr Konsum, wie den Kauf von Statussymbolen, versuchen, den Lebensstil der reicheren Schichten nachzuahmen. Und da Wachstum in ungleichen Gesellschaften somit mehr Nutzen stiftet, sind diese eher bereit, daraus resultierende Umweltbelastungen zu akzeptieren.
Darüber hinaus wirken sich Maßnahmen zur Verringerung von Umweltbelastungen unterschiedlich auf Menschen aus. Umweltpolitische Maßnahmen beispielsweise, die über den Preis umweltbewusstes Konsumverhalten erzielen wollen, treffen Personen mit geringerem Einkommen - alleinerziehende und alte Frauen stellen hier den größten Anteil - härter. Hinzu kommt, dass nicht alle Personengruppen gleichberechtigt an umweltbezogenen Entscheidungen beteiligt sind.
Das Konzept der Umweltgerechtigkeit nimmt Ungleichheiten bei der sozialen und sozialräumlichen Verteilung von Umweltbelastungen, dem Anteil an positiven Umweltressourcen und der Beteiligung an umweltbezogenen Entscheidungen in den Blick.
Ökologische Gerechtigkeit
Das Konzept ist der Ökologischen Gerechtigkeit ist wesentlich weitreichender, indem es Natur als eigenständige Gerechtigkeitsadressatin begreift.
Beim Konzept der Ökologischen Gerechtigkeit geht es nicht nur darum, die Naturgüter oder die negativen Auswirkungen ihrer Zerstörung unter den Menschen „gerechter“ aufzuteilen, sondern jegliche Abwälzung ökologischer, sozialer und monetärer Kosten auf die Allgemeinheit zu unterbinden.
Ökologische Gerechtigkeit wird als Bestandteil sozialer Gerechtigkeit verstanden und ist dann erreicht, wenn alle Menschen gleichberechtigt Zugang zu Umweltressourcen haben (ökologische Chancengleichheit), dies als moralisch begründetes Recht verstanden wird (ökologische Menschenrechte) und Menschen gleichberechtigt an Entscheidungen über die Gestaltung der natürlichen Umwelt beteiligt sind (ökologische Gestaltungsrechte).
In jedem Fall spielt die Kategorie Gender eine wichtige Rolle. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, Rollenbilder, Konsum- und Mobilitätsmuster führen ebenso wie Unterschiede beim Einkommen, bei der Bildung und dem Zugang zu anderen Ressourcen dazu, dass die Geschlechter auf unterschiedliche Weise von Umweltzerstörung beeinträchtigt sind und auf sie reagieren können.
Was ist gerecht?
Inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit
Gerechtigkeit innerhalb und zwischen den Generationen. In diese Dimension fällt auch die globale Gerechtigkeit sowie die Gerechtigkeit zwischen Regionen
Verteilungsgerechtigkeit oder distributive Gerechtigkeit
Gerechtigkeit beim Zugang zu bzw. der Verteilung von Ressourcen, der Kosten und Nutzen sowie der Verteilung der Lasten und Belastungen (z.B. Umweltqualität, optische und Lärmbelastung)
Verfahrensgerechtigkeit
Gerechtigkeit bei der Beteiligung, Transparenz bei der Entwicklung von Programmen und Maßnahmen
Ausgleichende Gerechtigkeit
Kompensation von entstandenen Umweltschäden bzw. von umweltbezogenen Ungerechtigkeiten (z.B. Maßnahmen zur Verminderung von Energiearmut)
Nancy Fraser (2001) unterscheidet in der Publikation Die Halbierte Gerechtigkeit zusätzlich zwischen affirmativer undtransformativer Gerechtigkeit. Affirmativ ist Gerechtigkeit dann, wenn sie innerhalb der bestehenden Gegebenheiten, z.B. durch kompensatorische Maßnahmen, zu einem Ausgleich führt, transformative Gerechtigkeit setzt dagegen darauf, die Gegebenheiten so zu verändern, dass Ungerechtigkeit erst gar nicht entsteht.
Projekte
- DNR-Projekt: Generationengerechtigkeit als ökologisch-soziale Herausforderung
Das Projekt „Generationengerechtigkeit als ökologisch-soziale Herausforderung" des Deutschen Naturschutzring (DNR) - dem Dachverband der deutschen Umwelt- und Naturschutzverbände – verfolgt das Ziel, eine breite, zivilgesellschaftlich geführte Debatte über das Thema „ökologische Gerechtigkeit“ anzustoßen und die Synergieeffekte zwischen Umwelt- und Sozialpolitik in der politischen Diskussion stärker herauszustellen. Dabei stehen zwei Fragen im Mittelpunkt: Wie können Umweltverbände zum ökologisch-sozialen Umbau der Gesellschaft beitragen? Wie kann das Leitbild der ökologischen Gerechtigkeit mit Leben gefüllt werden?
Das Portal „Mehr Gerechtigkeit durch Umweltschutz“ informiert darüber hinaus über aktuelle Projekte, Aktionen und Debatten zu Fragen der Ökologischen Gerechtigkeit: http://www.nachhaltigkeits-check.de
Ausgewählte Publikationen
- Toward Queer Climate Justice
Von Jeff Feng (2022)
Wie prägen Queer- und Trans-Perspektiven die Bewegung für Klimagerechtigkeit?
Feng verwendet einen qualitativen Multimethodenansatz, der sich auf halbstrukturierte Interviews und die Inhaltsanalyse von Sekundärquellen stützt. In der Dissertation wird untersucht, inwieweit queere und trans Klimaaktivist*innen Klimaungerechtigkeit anfechten und verstärken. Es wird argumentiert, dass queere und trans Aktivist*innen und Organisator*innen die Bewegung für Klimagerechtigkeit queeren, indem sie Klimagerechtigkeits- und queer und trans Strategien und Taktiken substanziell miteinander verbinden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Queer- und Trans-Perspektive der Bewegung für Klimagerechtigkeit, die Feng als "queere Klimagerechtigkeit" bezeichnet, neue Einsichten beschert, ihrer Umsetzung in der Praxis jedoch mehrere Hindernisse entgegenstehen.
Download der Dissertation - politische ökologie März 2014: Ökologische Gerechtigkeit – Stategische Allianzen zwischen Umweltschutz und Sozialpolitik
Dieser Band der politischen ökologie ergründet, warum manche Menschen stärker unter Umweltbelastungen leiden als andere und warum Umweltpolitik – national wie international – eine Voraussetzung für mehr soziale Gerechtigkeit ist.
Weiterführende Informationen
- Strategien für mehr Umweltgerechtigkeit. Handlungsfelder für Forschung, Politik und Praxis
Von Claudia Hornberg, Christiane Bunge und Andrea Pauli (2011)
Im Zentrum des vom Bundesumweltministerium (BMU) beauftragten Vorhabens stand die Aufgabe, Wechselwirkungen zwischen sozialen Lebensbedingungen und möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen zu bearbeiten und für die politische Ebene aufzubereiten.
Das Strategiepapier finden Sie hier.
- Die Auswirkungen der Erdöl- und Erdgasgewinnung in Nordamerika auf (indigene) Frauen
Diese zwei Artikel diskutieren am Beispiel der geplanten Erdöl-Pipeline Keystone XL von den Teersandfeldern in Kanada in die USA die Folgen der Erdöl und –gasgewinnung auf indigene Bevölkerungsgruppen und darunter vor allem auf Frauen:
Oil and Women: Could Keystone XL Impact More Than Just the Economy?
Will Keystone XL Pipeline Pump Sexual Violence Into South Dakota?
- Grundlagenpapier "Umwelt und Gerechtigkeit"
Von Julia Schulz, Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.) (2008)
Die Autorin diskutiert in diesem Grundlagenpapier die Konkretisierung eines "erweiterten Gerechtigkeitsbegriffes" für umweltpolitische Fragen in Deutschland und entwickelt unterschiedliche Gerechtigkeitsstandards. Es werden ethische Grundsatzfragen ebenso wie aktuelle Ethiktheorien daraufhin untersucht, wie gut sie sich auf Umweltschutzmaßnahmen anwenden lassen.
Das Grundlagenpapier finden Sie hier.
- Gerechtigkeit in der Umweltpolitik – Auf dem sozialen Auge blind?
Von Julia Schlüns und Antonio Brettschneider (2008)
Angesichts des notwendigen ökologischen Umbaus der Gesellschaft ist eine Verbindung zwischen sozialen und ökologischen Aspekten erforderlich. Es werden die beiden unterschiedlichen Konzepte Umweltgerechtigkeit und Ökologische Gerechtigkeit vorgestellt und diskutiert.
Den Artikel finden Sie hier.
- Aus Politik und Zeitgeschichte 24/2007: Ökologische Gerechtigkeit
Diese Ausgabe der APuZ des Bundeszentrale für politische Bildung nimmt den globalen Klimawandel als Ausgangspunkt Gerechtigkeitsfragen mit Bezug auf Umweltschutz neu zu diskutieren. Die Ausgabe enthält unter anderem sehr lesenswerte Artikel von Julia Schlüns (Umweltbezogene Gerechtigkeit in Deutschland) und Anton Leist (Ökologische Gerechtigkeit als bessere Nachhaltigkeit).
Die Ausgabe können Sie hier herunterladen.
- Soziale Gerechtigkeit als umweltpolitisches Steuerungsproblem
Von Stephan Elkins (2005)
Wie kann das Instrument Umweltpolitik umstrukturiert werden, damit mehr soziale Gerechtigkeit gewährleistet wird? Können die Kosten einer wirksamen Umweltpolitik gerecht verteilt werden? Stephan Elkins geht in seiner Analyse der Anatomie der Gerechtigkeits- und Konsumproblematik in der Umweltpolitik auf den Grund.
Der Artikel ist hier online verfügbar.